Von Frank D. Miller

Ein Sprichwort besagt, dass man 10.000 Tage benötigt, um mit dem chinesischen Schwert fechten zu können. Zu den Trainingsmethoden gibt es viele verschiedene Meinungen und Ansichten. In Sachen Körperarbeit mit dem chinesischen Schwert sind etwas verklärt wirkende Aussagen weit verbreitet, wie z. B. „Das Schwert versteht sich als ein Teil des Körpers, als natürliche Verlängerung des Arms…“ oder „Das Schwert ist aus der Mitte heraus zu führen…”. Doch was verbirgt sich hinter diesen bedeutungsschwangeren, beinahe mythischen Formulierungen, die oft nicht näher erklärt werden? 

Weiter ausgeführt: Das chinesische Schwert soll ein natürlicher Bestandteil der Bewegungsmuster und -strukturen sein, die unseren Körper bereits steuern. Es versteht sich somit nicht als isolierter Gegenstand, der einer besonderen Handhabung unterliegt, zum Beispiel als etwas das ausschließlich mit dem Arm bewegt werden sollte oder als etwas wofür ein neuer Muskel wachsen müsste. Wenn auch nicht unmittelbar vergleichbar, verhält es sich doch ähnlich mit einem Schuh. Wenn wir ihn anziehen, müssen wir das Laufen deshalb nicht neu erlernen – außer es handelt sich vielleicht um 15 cm hohe Stöckelschuhe. Und selbst hierbei harmonisieren wir „nur“ das bereits gelernte Gehen mit den neuen Zu-/Absätzen. Hier liegt der entscheidende Punkt für das grundlegenden Verständnis der Schwertführung: Das chinesische Schwert wird als körpereigene Extremität durch den gesamten Körper geführt. Dieses Prinzip zu verstehen und in die Praxis umzusetzen braucht seine Zeit.

Aus alter Tradition gut?
Angesichts moderner Waffentechnologien ist die chinesische Schwertfechtkunst seit dem 19 Jahrhundert mehr oder weniger obsolet geworden. Einen Schwertmeister anzutreffen, scheint schwierig bis unmöglich zu sein. Entweder ist das Wissen um diese Kunst während der chinesischen Kulturrevolution völlig verloren gegangen oder es sind nur vereinzelte Informationsfragmente in verschiedenen Stilen aufzufinden. Vielleicht stellt die Schwertkunst auch nur einen Nebenaspekt im Kampfkunst-Stil da oder es wird „Closed Door“ unterrichtet. Nicht selten kam es auch vor, dass die Transkription von Stil und der Techniken aufgrund des niedrigen Bildungsniveaus eines Meisters von seinem (reichen und gebildeten) Schüler übernommen wurde. Einiges an Detailwissen ist damit auch mit den Meistern dieser Kunst verstorben. Ein ähnliches Schicksal ereilte einst auch die japanischen Fechtkünste, auch hier basiert teilweise viel auf Rekonstruktion. Nur das die japanischen Fechtkünste durch den Mythos des Samurais und des Katanas (als Sinnbild und Marke) weltweit prominenter geworden sind.

Wenn man sich Fachliteratur zum Thema chinesisches Schwertfechten (Taijiquan, Wudang, etc.) anschaut, kann man feststellen, dass viel über Formen, Techniken und Technikprinzipien, aber kaum etwas über Körperarbeit und Bewegungsprinzipien mit dem Schwert geschrieben wird. Meist wird hier nur die bekannte (Basis-)Körperarbeit thematisiert oder eben diese ein oder zwei gängige „mythischen“ Aussagen zitiert. Das Thema ist anscheinend entweder zu abstrakt, um in einem Buch beschrieben zu werden oder es fehlt einfach an überliefertem Wissen, weil die alten Meister ihre „Geheimnisse“ nicht preisgeben wollten. Ein weiteres Problem ist das scheinbar „fehlende Verständnis“ chinesischer Lehrer für westliche Unterrichtsdidaktik. Die Frage nach speziellen „internen Schwertübungen“ für ein besseres Verständnis waffenspezifischer Körper-Mechaniken ist ihnen aufgrund kultureller Unterschiede überwiegend fremd. Dahinter steckt keine Böswilligkeit: Nach chinesischem Unterrichtsverständnis und alter Tradition werden die Techniken und Formen schlicht und ergreifend so lange geübt, bis man sie beherrscht. Kopieren, übernehmen, multiplizieren, eine alt bewährte chinesische Machart (nicht nur in der Kampfkunst). 

Viele Wege führen nach Rom?
Es gibt ein chinesisches Sprichwort das (sinngemäß) besagt: „Ein Meister der Schwertkunst ist stets auch ein Meister der Handtechnik. Ein Meister der Boxkunst kennt nicht notwendigerweise die Schwerttechnik!“

Wenn man sich mit erfahrenen Lehrern über die Vorgehensweise beim Schwertlernen unterhält, so heißt es u. a., dass am Anfang die Basisarbeit (mit dem Körper) erlernt werden muss. Die Arbeit mit dem Schwert folgt dann irgendwann später. Im gleichen Atemzug wird diese Aussage jedoch oft wieder relativiert, da das Schwert ja als „eine Verlängerung des Körpers“ anzusehen sei. 

Im Taijiquan z. B. wird das Schwert gelegentlich gern als reines „Hilfsmittel“ benutzt, um die Körperarbeit als solche zu verbessern. Auch wenn einem Kampfkünstler die Vorstellung widerstrebt, das Schwert auf die Funktion eines „Hilfsmittels“ zu reduzieren, ist die Idee grundsätzlich richtig. Heutzutage ist vielen Meistern bewusst, dass die Waffen nun mehr eingeschränkten Wert in der Selbstverteidigung haben. Ein Grund der gerne angeführt wird, sie dennoch zu üben ist, dass die Waffen helfen, das Jin (die verfeinerte Kraft) besser in der waffenlosen Arbeit herauszubringen. 

Elemente der Körperarbeit mit dem Schwert.
Die größte Herausforderung zu Beginn des Erlernens der chinesischen Schwertkunst ist es, das Schwert nicht mit Kraft und dem Arm zu führen. So paradox es klingen mag, aber bei der Schwertführung muss man erst einmal lernen loszulassen. Es gilt, das Schwert mit „leerer Hand“ zu führen und nicht mit aller Gewalt Techniken zu erzwingen. Der Körper ist im Prinzip ein durchlässiger, entspannter Schwingkörper, der auf unterschiedliche Art und Weise Energieimpulse in das Schwert leiten kann. Daher ist ein feinfühliges Körpergespür beim chinesischen Schwertfechten von erheblicher Bedeutung.

Das Schwert aus der Mitte mit einem feinfühligen Körperbewusstsein zu führen – die Essenz der Schwertführung – ist schwierig zu meistern. Doch was steckt dahinter, wie wird dieses Prinzip, das Schwert aus der Mitte zu führen, überhaupt organisiert? Neben den anderen grundsätzlichen Eckpunkten der Schwertführung, wie z. B. der Handhaltung, den Rotationspunkten (Eckpfeiler der Schwertführung und der Energieumsetzung) und den Kraftlinien lassen sich im wesentlichen zwei Bereiche hervorheben, die für ein Führen des Schwertes aus der Mitte besonders wichtig sind: Die Arbeit mit der Körperregion „Taille“ und der richtige Einsatz des „Schwertfingers“. 

Spiralförmige Bewegungsmuster bilden die Grundlage einiger Stile im zivilen chinesischen Schwertfechten. Diese sind signifikant notwendig für das Arbeiten aus der Mitte. Diese spiralförmige Körperarbeit ist z. B. typisch für die Wudang und Taiji Meihua Tang Lang Schwertkunst – nicht zuletzt, weil sie grundsätzlich spezifisch für diese Stilarten ist. Aufgrund der verschiedenen Kampfkunststile und den eigenen stilspezifischen Fachtermini, hier eine kurze Aufstellung:

In den Wudang (und Taijiquan) Kampfkünsten
wird die Körperarbeit aus der Mitte als „aus dem Dantien“ heraus zu arbeiten bezeichnet. Das Dantian (Chinesisch 丹田 / wörtlich Zinnoberfeld Dantien) ist ein Begriff aus dem Daoismus, der die „energetischen Zentren“ des Körpers bezeichnet. Hierbei handelt es sich nicht um bestimmte Punkte im Körper sondern um Regionen, die besonders in den inneren Kampfkünsten von Bedeutung sind. Im menschlichen Körper werden mehrere Dantian unterschieden. Für die Schwerkunst entscheidend ist das sogenannte „Xia Dantien“ – das untere Dantian. Es beschreibt sowohl den energetischen als auch den physikalischen Mittel-/Schwerpunkt des Körpers. 

Im Taijiquan
dreht man aus dem Yao (Taille) und dem Kua (Hüften, Leisten und umgebende Körperstrukturen – Muskel, Bänder). Das Taijiquan betont grundsätzlich, dass die Bewegung als Rotation vom Xia Dantian (dem echten) entsteht. Man bezeichnet die Körperarbeit bzw. das Übungskonzept hierzu auch als „Seidenweber“ (Chansi Gong, Silk Reeling). 

Im Taiji Meihua und Taiji Tang Lang
wird diese Körperregion oft als „Taille“ (Yao) definiert. Die Taille ist die Muskelmanchette zwischen Beckenkamm und Rippen. Sie umfasst die gerade und schräge sowie die seitliche Bauchmuskulatur, ebenso die verschiedenen Schichten des langen Rückenstreckers und des quadratischer Lendenmuskel in diesem Bereich. Die Taille bezeichnet in der Regel die schmalste Stelle des Rumpfes. Bei Frauen befindet sich die Taille etwa 2–3 cm oberhalb des Bauchnabels, bei Männern ist die Lage etwas variabler und kann ober- aber auch unterhalb des Nabels liegen.

Auch wenn hier scheinbar explizit die Taillenarbeit bzw. die Arbeit aus der Mitte in den Vordergrund gestellt wird, so gilt dennoch im Ganzen die gesamte Körperarbeit in der Umsetzung zu bedenken. Allen Bewegungen sollten stets den drei äußeren Harmonien zugrunde liegen (das Zusammenspiel von Schulter/Hüfte, Ellenbogen/Knie sowie Hand/Fußgelenke).

Wenn sich nun „das Schwert als Verlängerung des Arms“ versteht, muss man die Struktur und den Aufbau des Arms im Kontext zum Körper und der Taillenarbeit näher betrachten. Denn auch hieraus wird die Bewegung aus der Mitte stark beeinflusst bzw. gesteuert. Während der Oberarm meist eine feste Struktur mit dem Körper bildet, wird der Unterarm in Richtung Hand immer durchlässiger und flexibler. Die Hand ist eine der wichtigsten „Schnittstellen“ zwischen Körper und Schwert. Sie ist der elementare Vermittler zwischen Körper, Arm und Schwert und die „Sollbruchstelle Nr. 1“, wenn es um den Energietransfer vom Körper ins Schwert geht. Die Handhaltung des Schwertgriffs bestimmt zudem dessen Führung fundamental mit. Es ist daher kaum verwunderlich, dass frühere chinesische Schwertmeister auch in der Kunst der Kaligrafie bewandert waren. Denn beide Disziplinen stehen aufgrund der ähnlichen Art der Handhabung und Führung in Korrelation.

Nun zum nächsten entscheidenden Faktor, dem Schwertfinger
Es gibt ein chinesisches Sprichwort das (sinngemäß) besagt: „Kein guter Schwertfinger = keine gute Schwertführung“.

Zu den zuvor erwähnten „Mythen“ der chinesischen Schwertfechtkünste scheint auch die Herkunft und Bedeutung des Schwertfingers zu zählen. Er scheint oft nur deshalb verwendet zu werden, weil er irgendwie „stilistisch“ zum Schwert gehört. 

Doch welche Funktion hat er wirklich und woher kommt er eigentlich? Die Wudang-Schwertkunst wird im Allgemeinen auch als die „Mutter aller Schwertkünste“ bezeichnet. Man sagt auch, dass hier die Entstehung des Schwertfingers als Teil der daoistischen Mythologie bzw. als Teil ritueller Zeremonien des Daoismus zu verorten sei. Daher rührt auch die Vorstellung, dass das „Qi durch den Schwertfinger fließt“. Mit dem Schwertfinger wurde sozusagen die eigene Qi-Energie auf das Schwert transferiert, mit dem man dann anschließend z. B. Dämonen austrieb. Dieses „Sinnbild“ bringt die Bedeutung des Schwertfingers auf den Punkt. Denn der Schwertfinger organisiert signifikant die Körperstruktur und die Energiearbeit beim Fechten mit dem Schwert. Er führt und unterstützt das Schwert. Er setzt Konterpunkte, beschleunigt und organisiert die Körperstrukturen beim parieren und bei der Energieumsetzung in das Schwert. Je nach Technik „zwingt“ er den Körper sogar zur richtigen „Taillen-Arbeit“ – eben jener erwünschten Bewegung aus der Mitte. 

Internal Swordbasics – Das Workshop-Konzept für die Bewegung aus der Mitte
Der Fokus des einzigartigen Konzepts »Internal Swordbasics« liegt auf den grundlegenden Prinzipien der Schwertführung und Körperarbeit. Der Workshop richtet sich stilübergreifend an alle schwertinteressierten Taiji´ler und Kampfkünstler, die den „Energie-Output“ in der Schwertführung erhöhen und in die „inneren Tiefen“ der Schwert-Körperarbeit eintauchen möchten. Das stilunspezifische Konzept lässt sich einfach auf die eigene Schwertarbeit transferieren. Erlernte Formen können so systematisch aufgearbeitet und verbessert werden, ebenso können die Übungen in den regulären Unterricht eingebaut werden.

Workshop-Inhalte (Auszug):

Wie optimiere ich die „Schnittstelle Hand“?

Wie und wofür wird der Schwertfinger eigentlich genau benötigt (Stichwort: Körperstruktur)?

Warum gibt es Rotationspunkte, um die sich das Schwert drehen sollte und Ebenen in denen sich das Schwert bewegen sollte?

Wie bringe ich die Energie richtig in die Schwertspitze?

Was bedeutet es, das Schwert mit dem Körper zu ziehen?

Zu allen Themenbereichen gibt es viele Übungen, um die komplexen Prinzipien und Zusammenhänge anschaulich verdeutlichen. Eine Technik-Sequenz-Schleife, die diese Übungen zusammenfasst, kann zusätzlich als durchgängige Routine erarbeitet werden. So nimmt man einen insgesamt sehr vielseitigen Trainingsaufbau mit nach Hause.

Rückfragen zum Thema oder zum Workshop bitte an

Laoshi Frank D. Miller

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